Offener Brief an Mark Zuckerberg: Warum Faktenchecks unverzichtbar bleiben
from D_a_X@feddit.org to dach@feddit.org on 11 Jan 2025 20:33
https://feddit.org/post/6726948

Am 9. Januar 2025 wurde ein offener Brief veröffentlicht, in dem sich über 90 Organisationen aus der Faktenprüfung an Mark Zuckerberg wenden. Der Anlass: Meta hat angekündigt, sein Faktenprüfungsprogramm in den USA zu beenden. Die Faktenprüfer warnen vor den weitreichenden Folgen dieser Entscheidung, insbesondere in einer zunehmend polarisierten Informationslandschaft.

Hinweis: Der offene Brief wurde von der International Fact-Checking Network (IFCN) verfasst und auf der Website des Poynter Institute veröffentlicht. Die Unterzeichner sind verschiedene Faktenprüfungsorganisationen weltweit, die im Brief genannt werden.

Der Brief beginnt mit einer Rückschau auf die Einführung des Programms im Jahr 2016, das als direkte Reaktion auf die Schäden durch Falschinformationen auf Facebook entstand. Die Unterzeichner betonen, wie wichtig das Programm für die Eindämmung von Hoaxes und Verschwörungstheorien war – und wie Millionen Nutzer davon profitierten.


Sehr geehrter Herr Zuckerberg,

vor neun Jahren schrieben wir Ihnen über die realen Schäden, die durch falsche Informationen auf Facebook verursacht wurden. In Reaktion darauf hat Meta ein Faktenprüfungsprogramm ins Leben gerufen, das Millionen von Nutzern vor Falschmeldungen und Verschwörungstheorien geschützt hat. Diese Woche haben Sie angekündigt, dieses Programm in den Vereinigten Staaten einzustellen – wegen Bedenken über „zu viel Zensur“. Diese Entscheidung droht, fast ein Jahrzehnt des Fortschritts bei der Förderung akkurater Informationen im Internet zunichtezumachen.

Das 2016 gestartete Programm war ein großer Schritt nach vorn, um die Genauigkeit von Informationen online zu fördern. Es half den Menschen, positive Erfahrungen auf Facebook, Instagram und Threads zu machen, indem die Verbreitung falscher und irreführender Informationen in ihren Feeds reduziert wurde. Wir sind überzeugt – und Daten belegen es –, dass die meisten Menschen in sozialen Medien verlässliche Informationen suchen, um Entscheidungen für ihr Leben zu treffen und gute Interaktionen mit Freunden und Familie zu haben.

Ziel war es, Nutzer über falsche Informationen aufzuklären und ihre Verbreitung zu verlangsamen, ohne zu zensieren. Faktenprüfer unterstützen die Meinungsfreiheit ausdrücklich, wie wir es im vergangenen Jahr in der Sarajevo-Erklärung wiederholt und formell betont haben. Die Freiheit, zu erklären, warum etwas nicht wahr ist, ist ebenfalls ein Ausdruck der freien Meinungsäußerung.

Sie jedoch behaupten, das Programm sei zu einem „Werkzeug der Zensur“ geworden und „Faktenprüfer seien zu politisch voreingenommen und hätten mehr Vertrauen zerstört, als sie geschaffen haben, insbesondere in den USA“. Das ist falsch, und wir möchten dies sowohl im heutigen Kontext als auch für das historische Protokoll klarstellen.

Meta verpflichtete alle Partner der Faktenprüfung, strenge Standards für Unparteilichkeit durch die Verifizierung des International Fact-Checking Network (IFCN) zu erfüllen. Dies bedeutete keine Verbindungen zu politischen Parteien oder Kandidaten, keine politische Interessenvertretung und ein unerschütterliches Engagement für Objektivität und Transparenz. Jede Nachrichtenorganisation unterzieht sich einer rigorosen jährlichen Überprüfung, einschließlich unabhängiger Bewertungen und Peer-Reviews. Meta selbst hat diese Standards wiederholt für ihre Strenge und Effektivität gelobt. Noch vor einem Jahr hat Meta das Programm auf Threads ausgeweitet.

Ihre Aussagen legen nahe, dass Faktenprüfer für Zensur verantwortlich seien, obwohl Meta den Faktenprüfern niemals die Möglichkeit oder die Autorität gegeben hat, Inhalte oder Konten zu entfernen. Menschen im Internet haben oft Faktenprüfer für die Maßnahmen von Meta verantwortlich gemacht und sie dafür belästigt. Ihre jüngsten Aussagen werden diese Wahrnehmung zweifellos weiter anheizen.

Die Realität ist jedoch, dass Meta-Mitarbeiter entschieden haben, wie Inhalte, die von Faktenprüfern als falsch eingestuft wurden, herabgestuft oder gekennzeichnet werden sollten. Mehrere Faktenprüfer haben Meta über die Jahre hinweg vorgeschlagen, diese Kennzeichnung weniger aufdringlich zu gestalten, um den Eindruck von Zensur zu vermeiden – Meta hat diese Vorschläge jedoch nie umgesetzt. Darüber hinaus hat Meta Politiker und politische Kandidaten von der Faktenprüfung ausgenommen, selbst wenn sie bekannte Unwahrheiten verbreiteten. Faktenprüfer hingegen forderten, dass Politiker genauso wie alle anderen überprüft werden sollten.

Im Laufe der Jahre hat Meta nur begrenzte Informationen über die Ergebnisse des Programms bereitgestellt, obwohl Faktenprüfer und unabhängige Forscher immer wieder um mehr Daten gebeten haben. Soweit wir erkennen konnten, war das Programm jedoch wirksam. Forschungsergebnisse zeigen, dass Faktencheck-Kennzeichnungen den Glauben an und das Teilen von Falschinformationen reduzierten. In Ihrer eigenen Aussage vor dem Kongress priesen Sie Metas „branchenführendes Faktenprüfungsprogramm“.

Sie haben erklärt, dass Sie ein Programm namens „Community Notes“ einführen möchten, ähnlich dem von X (ehemals Twitter). Wir glauben nicht, dass ein solches Programm zu einer positiven Nutzererfahrung führen wird, wie X bereits demonstriert hat. Untersuchungen zeigen, dass viele Community Notes nie angezeigt werden, da sie von einem breiten politischen Konsens abhängen, anstatt von Standards und Beweisen für die Richtigkeit. Dennoch gibt es keinen Grund, warum Community Notes nicht neben dem Drittanbieter-Faktenprüfungsprogramm bestehen könnten; sie schließen sich nicht gegenseitig aus.

Ein Community-Notes-Modell, das mit professioneller Faktenprüfung zusammenarbeitet, hätte großes Potenzial als neues Modell zur Förderung akkurater Informationen. Der Bedarf dafür ist groß: Wenn Menschen glauben, dass soziale Plattformen voller Betrügereien und Falschmeldungen sind, werden sie dort weder Zeit verbringen noch Geschäfte machen wollen.

Das bringt uns zum politischen Kontext in den Vereinigten Staaten. Die Ankündigung, das Programm einzustellen, erfolgte nach der Bestätigung von Donald Trumps Wahlsieg und als Teil einer breiteren Reaktion der Technologiebranche auf die neue Regierung. Trump selbst sagte, Ihre Ankündigung sei „wahrscheinlich“ eine Reaktion auf Drohungen, die er gegen Sie ausgesprochen habe. Einige der Journalisten in unserer Faktenprüfungs-Community haben ähnliche Drohungen von Regierungen in den Ländern erlebt, in denen sie arbeiten, und wir verstehen, wie schwierig es ist, diesem Druck zu widerstehen.

Der Plan, das Faktenprüfungsprogramm im Jahr 2025 zu beenden, gilt vorerst nur für die USA. Aber Meta hat ähnliche Programme in über 100 Ländern, die sich in verschiedenen Stadien von Demokratie und Entwicklung befinden. Einige dieser Länder sind besonders anfällig für Desinformation, die politische Instabilität, Wahlmanipulation, Gewalt und sogar Genozid fördern kann. Wenn Meta beschließt, das Programm weltweit zu beenden, wird dies fast sicher in vielen Regionen zu realen Schäden führen.

Dieser Moment unterstreicht die Notwendigkeit einer stärkeren Finanzierung des öffentlichen Journalismus. Faktenprüfung ist entscheidend, um gemeinsame Realitäten und evidenzbasierte Diskussionen sowohl in den USA als auch weltweit aufrechtzuerhalten. Der philanthropische Sektor hat jetzt die Gelegenheit, seine Investitionen in den Journalismus in dieser kritischen Zeit zu erhöhen.

Am wichtigsten ist jedoch, dass wir glauben, dass die Entscheidung, Metas Drittanbieter-Faktenprüfungsprogramm zu beenden, ein Rückschritt für all jene ist, die ein Internet anstreben, das akkurate und vertrauenswürdige Informationen priorisiert. Wir hoffen, dass es uns irgendwie gelingt, dieses Terrain in den kommenden Jahren zurückzugewinnen. Wir sind weiterhin bereit, wieder mit Meta oder einer anderen Technologieplattform zusammenzuarbeiten, die an der Faktenprüfung interessiert ist, um Menschen die Informationen zu geben, die sie benötigen, um fundierte Entscheidungen für ihr tägliches Leben zu treffen.

Der Zugang zur Wahrheit stärkt die Meinungsfreiheit und befähigt Gemeinschaften, ihre Entscheidungen mit ihren Werten in Einklang zu bringen. Als Journalisten bleiben wir entschlossen, die Pressefreiheit zu verteidigen und sicherzustellen, dass die Suche nach Wahrheit weiterhin ein Grundpfeiler der Demokratie bleibt.

Mit Respekt,


#dach

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elvith@feddit.org on 11 Jan 2025 21:00 next collapse

Ihre Aussagen legen nahe, dass Faktenprüfer für Zensur verantwortlich seien, […]. Menschen im Internet haben oft Faktenprüfer für die Maßnahmen von Meta verantwortlich gemacht und sie dafür belästigt. Ihre jüngsten Aussagen werden diese Wahrnehmung zweifellos weiter anheizen. […] Die Realität ist jedoch, dass Meta-Mitarbeiter entschieden haben, wie Inhalte, die von Faktenprüfern als falsch eingestuft wurden, herabgestuft oder gekennzeichnet werden sollten. Mehrere Faktenprüfer haben Meta über die Jahre hinweg vorgeschlagen, diese Kennzeichnung weniger aufdringlich zu gestalten, um den Eindruck von Zensur zu vermeiden – Meta hat diese Vorschläge jedoch nie umgesetzt.

Die Faktenprüfung war ja nur notwendiges Übel, weil so gefordert. Sie bindet Arbeitskraft und Ressourcen und verursacht nur Kosten für Meta. Warum sollten die Interesse dran haben, dass klar ist, dass letztendlich Meta-Mitarbeiter hier Entscheidungen treffen? Wenn man die Schuld an die Faktenprüfer “auslagern” kann durch missverständliche Hinweise usw. ist das (aus Metas Sicht) ja zielführender um das endlich loszuwerden und bei einem solchen Schritt auch gleich “Munition” gegen die Faktenprüfung haben. Und Community Notes sind ja viel weniger kosten- und personalintensiv, wenn das komplett bei der Community liegt…

albert180@discuss.tchncs.de on 11 Jan 2025 22:41 next collapse

Cringe.

Hört auf Milliardäre anzubetteln, und verlasst deren Plattformen!

CosmoNova@lemmy.world on 12 Jan 2025 09:29 collapse

Warum tun Leute eigentlich so, als seien Facebook und Xitter nicht schon seit fast einem Jahrzehnt ein rechtsradikaler Propaganda-Sumpf? Zucc zeigte sich herzlich uneinsichtig über die Cambridge-Analytica-Affäre und Trump hat mit seiner ständigen Hassrede seinen Wahlkampf seit 2015 von Twitter aus geführt. Er wurde erst dann gebannt, als seine Präsidentschaft vorbei war und er dazu aufrief, das Kapitol zu stürmen. Bleibt doch weg von diesen Schwurbel-Netzwerken. Von denen kommt nichts gutes.